Dies Domini – Dritter Fastensonntag, Lesejahr C
Frommsein muss sich lohnen. Die Schadenfreude über das Unglück derer, die in den Augen der Frommen nicht bestehen können, wird zur Bestätigung der eigenen Opfer. Wo aber Frömmigkeit zum Opfer wird, hat sich die befreiende Kraft der frohen Botschaft wohl schon längst von dannen gemacht.
Gerne schaut der Fromme freilich hinab in die Niederungen der Welt. Er weiß sich ja schließlich auf der sicheren Seite. Dafür betet er, dafür geht er in den Gottesdienst. Dadurch hat er sich schließlich einen Anspruch auf das Heil erworben. In dieser eitlen Frömmigkeit entwickeln viele Gläubige eine arrogante Herablassung, in der man an Weihnachten gerne von U-Boot-Christen spricht, die einmal jährlich auftauchen, oder sich über Familien von Erstkommunionkindern empört, die doch nur am schönen Schein des Festes interessiert seien und am Sonntag nach dem großen Fest schon nicht mehr gesehen sind. Niemand stellt dann die Frage, warum man sich selbst und seine Frömmigkeit offenkundig nicht so ansteckend vermitteln konnte, dass es eine Lust ist, Teil der eitelfrommen Gemeinschaft zu werden. Glaubt man wirklich, dass derart larmoyante Selbstgerechtigkeit werbend wirkt?
Im Gegenteil: Die fromme Lust am Unglück anderer spricht für eine innere Verbitterung. Sind sich die Eitelfrommen ihrer Erwählung möglicherweise gar nicht so sicher, wie sie es vorgeben? Sie brauchen offenkundig handfeste Beweise, dass sich ihre Investition auch lohnt. Nun gehört freilich das Wissen zu den Erfahrungen der Lebenskundigen, dass das Scheitern Teil der menschlichen Existenz ist. Oder, um es einfach zu sagen: Hinter jeder Tür gärt Misthaufen vor sich hin. Keine Lebensgeschichte ohne Brüche, keine Beziehung ohne Krisen, keine Familie ohne Sorgen. So ist das Leben. Freilich neigt der Mensch aus jahrtausendealter, ins kollektiv Unbewusste geprägter Erfahrung, dass Gefahren existentiell bedeutsamer sind, als entspannte Fröhlichkeit: Ein Säbelzahntiger ist eben kein Kuscheltier; da hilft nur Flucht! Wenn sich unsere Vorfahren ohne Wachsamkeit ausruhten, konnte es schnell das letzte Nickerchen gewesen sein, in das man sich sorglos fallen ließ; der Bär im Dunkel der Höhle hatte halt auch bloß Hunger …
Der Mensch ist halt den Kräften der Natur an sich nicht gewachsen. Die Gefahr begleitete die Menschheit immer schon. Der Mensch hat überlebt, weil er wachsam seine Aufmerksamkeit primär auf die Gefahren des Lebens lenkt. Dafür ist er sensibel. Dieses archaische Potential wohnt auch dem modernen Menschen noch inne. Deshalb interessieren und faszinieren schlechte Botschaften auch heute noch mehr also frohe Botschaften. Vor einer frohen Botschaft muss man sich schließlich nicht fürchten. Die Furcht aber ist die beste Überlebensstrategie in einer gefährlichen Welt. Über die Jahrtausende hinweg hat sich deshalb eine Botschaft als Strategie des Überlebens tief in das Unterbewusstsein des Menschen eingeprägt: Fürchte dich! Dann wirst Du überleben …
Es ist schon bemerkenswert, dass gerne von Gottesfurcht geredet wird, in den biblischen Erzählungen von der Begegnung mit dem Göttlichen aber immer zuerst das „Fürchte dich nicht!“ vorangestellt wird. Es scheint fast so, als konterkarierten Gott bzw. seine Boten den menschlichen Drang zur Furcht. Die Frommen hingegen reden die ganze Zeit über von Gottesfurcht. Sie trauen offenkundig einem Gott der Liebe nicht über den Weg. Sie misstrauen dem Namen Gottes, der einfach der „Ich bin da!“ ist. Ihre Skepsis lässt sich auch nicht durch die verheißungsvolle Wendung überwinden, wie sie wohl Mose widerfährt, dem Gott – und davon erzählt die erste Lesung vom dritten Fastensonntag im Lesejahr C – im brennenden Dornbusch begegnet:
Da verhüllte Mose sein Gesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihre laute Klage über ihre Antreiber habe ich gehört. Ich kenne sein Leid. Ich bin herabgestiegen, um es der Hand der Ägypter zu entreißen und aus jenem Land hinaufzuführen in ein schönes, weites Land, in ein Land, in dem Milch und Honig fließen. (Exodus 3,6-8a)
Mose ist angesichts der Begegnung mit dem Höchsten voller Furcht. Wen könnte das wundern. Aber Gott wendet sich ihm zu. Er hat das Elend Israels gesehen. Er, der da ist, wird sein Volk retten – ohne Vorleistung, ohne Bedingungen. Er ist der Schöpfer, der seine Schöpfung liebt. Kann das einfach so angehen?
Viele Fromme bleiben da skeptisch. Sie verhalten sich wie die Leute, von denen das Evangelium des dritten Fastensonntags im Lesejahr C erzählt:
Zur gleichen Zeit kamen einige Leute und berichteten Jesus von den Galiläern, deren Blut Pilatus mit dem ihrer Opfertiere vermischt hatte. (Lukas 13,1)
Der Text erzählt nichts von der Motivation dieser Leute. Sie erscheinen als Menschen, die nichts Besseres zu tun haben, als die neuesten Schreckensnachrichten weiterzuverbreiten. Es sind Gaffer, Gaffer, die sich wollüstig am schrecklichen Schicksal anderer in der Gewissheit ergötzen können, dass man selbst nicht zu den Betroffenen zählt – jenem Menschentyp, der heute schnell das Smartphone zur Hand hat, um das Unglück via Facebook, Twitter und Instagram ungeachtet der Bloßstellung der vom Schicksal Betroffenen in die Welt zu blöken. Es ist schon erstaunlich, dass die Nutzung der Fotoapp selbst mit einer Hand wackelfrei eingeübt zu sein scheint, das Wählen des Notrufs aber nicht mehr zu den Kulturtechniken zu gehören scheint. Dass sich hier in den letzten zweitausend Jahren kein signifikanter ethischer Fortschritt der Menschheit vollzogen hat, deutet jedenfalls die Reaktion Jesu an:
Und er antwortete ihnen: Meint ihr, dass diese Galiläer größere Sünder waren als alle anderen Galiläer, weil das mit ihnen geschehen ist? Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle genauso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt. Oder jene achtzehn Menschen, die beim Einsturz des Turms am Schiloach erschlagen wurden – meint ihr, dass sie größere Schuld auf sich geladen hatten als alle anderen Einwohner von Jerusalem? Nein, sage ich euch, vielmehr werdet ihr alle ebenso umkommen, wenn ihr nicht umkehrt. (Lukas 13,2-5)
Die Vehemenz, mit der Jesus hier den plappernden Gaffern entgegentritt, spricht für sich. Sie scheinen sich auf der sicheren Seite zu wähnen. Ihnen könnte so etwas nicht passieren. Die, denen solches geschieht, müssen doch wohl irgendetwas getan haben, damit sie ein solches Schicksal ereilt. Der Fromme hingegen kann sich da in Sicherheit wähnen. Eine Sicherheit, die trügerisch ist. Und das weiß der Eitelfromme auch, sonst könnte er doch entspannt für die Opfer solcher Schicksalsschläge beten. Das tut er aber nicht. Im Gegenteil: das Unglück derer, die vermeintlich nicht so fromm und gottesfürchtig wie er selbst sind, wird ihm zum Beweis, dass es sich lohnt, das Martyrium der Gottesfurch auf sich zu nehmen. Freilich übersieht er in dieser Ignoranz, dass sein Glaube gar nicht so fromm ist. Wäre er gefestigt, er wüsste, dass Gott immer da ist. Wäre er ein wahrhaft Glaubender, er wüsste, dass dem Auferstandenen durch das dramatische Schicksal des Kreuzestodes gerade nicht erspart wurde. Es wurde ihm nicht erspart, damit die Menschheit erkenne, dass auch die absolute Vernichtung nicht von der Liebe Gottes trennen kann. Das ist die eben die frohe Botschaft: Wir sind gerettet! Wir müssen nicht mehr gerettet werden. Wir sind es! Wir müssen uns das Heil nicht verdienen. Wir sind längst geheiligt!
Die Frommen hingegen, die sich latent am Leiden anderer ergötzen und dabei in Gedanken, Worten und Werken denken, reden und handeln, dass man solche ja nie in der Kirche gesehen hätte und sie jetzt eben sähen, was sie davon hätten, verraten nicht nur die frohe Botschaft von der göttlichen Rettungstat, die in der Auferstehung des Gekreuzigten offenbar wird. Sie machen sie sogar zu einer Drohbotschaft. Niemand freut sich angesichts erhobener Zeigefinger. Mehr noch: Wer so im Heilswillen Gottes zweifelt, hat sich eine sakrale Sepsis zugezogen, die ihn versauern lässt. Auf so einem Boden können keine verheißungsvollen Früchte gedeihen, die andere locken. Hier hilft nur eine grundlegende Therapie, die das Unterste nach oben kehrt, so alles durcheinanderbringt, den sauren Boden aber durchlüftet und Hoffnung auf echte Heilung nährt:
Und er erzählte ihnen dieses Gleichnis: Ein Mann hatte in seinem Weinberg einen Feigenbaum gepflanzt; und als er kam und nachsah, ob er Früchte trug, fand er keine. Da sagte er zu seinem Winzer: Siehe, jetzt komme ich schon drei Jahre und sehe nach, ob dieser Feigenbaum Früchte trägt, und finde nichts. Hau ihn um! Was soll er weiter dem Boden seine Kraft nehmen? Der Winzer erwiderte: Herr, lass ihn dieses Jahr noch stehen; ich will den Boden um ihn herum aufgraben und düngen. Vielleicht trägt er in Zukunft Früchte; wenn nicht, dann lass ihn umhauen! (Lukas 13,6-9)
Der Baum, von dem Jesus hier spricht, steht für die Adressaten seines Gleichnisses. Sie gleichen einem vertrockneten Feigenbaum, der keine Früchte mehr bringt. Sie sind versauert. In ihrer Furcht ergötzen sie sich am Schicksal anderer. Sie übersehen dabei, dass das Leben keine Sicherheiten geben kann. Niemand kann sich Heil erwerben. Was ist, wenn der Fromme selbst krank wird? Hat er dann falsch gebetet? Kann er dann noch an den glauben, der sich für den Tod am Kreuz nicht zu schade war? Was hat Jesus verbrochen, dass er ein solches Schicksal erleiden muss? Seid ihr Frommen blind geworden, dass ihr die Verheißung des Kreuzestodes nicht mehr seht? Der, der am Kreuz als Gottverlassener stirbt, wird doch von Gott gerettet! Freut euch deshalb und jubelt!
Aus dem sauren Boden der frommen Sauertöpfigkeit kann nur dann wieder fruchtbarer Humus werden, wenn man das Frohe der frohen Botschaft wieder gedeihen lässt. Nicht ohne Grund hängen Humor und Humus ja etymologisch zusammen. Wer nur aus Gottesfurcht in die Kirche geht, wird die frohe Botschaft nie verstehen. Es darf sich nicht lohnen, den Gottesdienst besuchen. Es sollte eine abgrundtiefe Freude sein, ein Heidenspaß, eine Lust! Das ist es für euch nicht, ihr Frommen? Dann sollten wir auf die Suche gehen, warum das nicht so ist … und nicht den vermeintlich Unfrommen vorhalten, dass sie die Konsequenzen aus dem ziehen, was euch zum Opfer wird, mit dem ihr eure Heilsgewissheit bezahlt! Kehrt das Unterste nach oben, dann werden auch wieder Früchte reifen, nach denen es den Menschen gelüstet … vielleicht … hoffentlich!
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
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